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Anerkannte Regeln der Technik gelten auch, wenn sie nicht niedergeschrieben sind

4.03.2014 von Helena

Baumaterialien, Bautechnik und Bauverfahren werden ständig weiterentwickelt. Neue Baustoffe und Maschinen erlauben neue Baumethoden. Nicht alles Neue ist tauglich, aber vieles bewährt sich und wird im Baualltag übernommen. Haben sich bestimmte bautechnische Verfahren etabliert, werden sie zu sogenannten anerkannten Regeln der Technik, erläutert die Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht Helena Jakobs aus der Kanzlei Jakobs Rechtsanwälte in Warburg.

Anerkannte Regeln der Technik sind bautechnische Regeln, die von der Wissenschaft als theoretisch richtig belegt wurden und sich dann, von Bauexperten in der Praxis erfolgreich angewandt, durchgesetzt haben. Manche dieser anerkannten Regeln der Technik münden in eine DIN-Norm, andere werden in weitere Regelwerke übernommen. Das ist praktisch, weil damit jeder am Bau Beteiligte jederzeit alle Vorschriften nachlesen und sich danach richten kann.

Problematischer wird es immer dann, wenn die anerkannten Regeln der Technik nicht niedergeschrieben sind, wenn es sich also um ungeschriebene anerkannte Regeln der Technik handelt, erläutert Fachanwältin Jakobs. Solche Regeln gibt es relativ häufig, weil sich die Bautechnik ständig weiterentwickelt und neue Verfahren erprobt werden, während die alten quasi noch im Normenausschuss abgestimmt werden – die Realität ist oft schneller als die Normung. Ein klassisches Beispiel beim Bauen ist der Schallschutz. Längst gehen die technischen Möglichkeiten für den Schallschutz und die Erwartungen der Bauherren über die in der diesbezüglich existierenden DIN-Norm angegebenen Werte hinaus. Ein anderes Beispiel ist das barrierefreie Bauen. Auch hier gibt es DIN-Normen, die das Bauen ohne Schwellen regeln. Sie sind verbindliche Vorschrift für den Heimbereich und für öffentliche Bauten. Für den privaten Bereich gehen sie meist zu weit, ihre Umsetzung würde unnötig teuer.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Nicht jede geschriebene Norm ist für den einzelnen Bauherrn immer wirklich nützlich. Und: Nicht jede Norm ist technisch auf der Höhe der Zeit. Auftraggeber und Bauherren müssen sich also in solchen Fällen auf das Know-how ihrer Bauingenieure, Fachplaner und Architekten verlassen, so Helenea Jakobs. Diese Experten sollten alle in Frage kommenden DIN-Normen kennen, ebenso wie andere Regelwerke und die anerkannten Regeln der Technik – und zwar sowohl die geschriebenen als auch die ungeschriebenen. Das können sie nur, wenn sie sich ständig weiterbilden und auf der Höhe der technischen Entwicklung bleiben.

Die ungeschriebenen anerkannten Regeln der Technik spielen beim Bauen eine wichtige Rolle. Vor allem, wenn es um die Feststellung von Mängeln und Schäden geht. Im November vergangenen Jahres befasste sich der Bundesgerichtshof mit einem entsprechenden Fall (BGH, Urteil vom 21.11.2013 Az.: VII ZR 275/12): Eine Wohnungseigentümergemeinschaft hatte ihren Bauträger verklagt, weil der Epoxidharz-Belag im Hof und Eingangsbereich der Anlage Risse hatte. Außerdem, so monierte die Gemeinschaft, habe der Bereich kein Gefälle und das Regenwasser könne nicht ablaufen. Der Streit ging darum, ob nur die Risse beseitigt werden müssen, oder ob auch ein Gefälle hergestellt werden muss. Während die Risse eindeutig einen Mangel darstellten, war von einem Gefälle im Bauvertrag nirgends die Rede. Auch der zugezogene Bausachverständige argumentierte, für den speziellen Belag sei nirgends niedergeschrieben, dass ein Gefälle ausgebildet werden müsse. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hielt es aber für sinnvoll, wenn das Oberflächenwasser zumindest schneller abfließen könne und verlangte deshalb den höheren Qualitätsstandard. Im Streit über mehrere Instanzen fiel auf, dass ein geschriebenes Regelwerk für den verwendeten Belag keine Anforderung hinsichtlich eines Gefälles enthielt, Regelwerke zu anderen Belagsmaterialien hingegen schon. Die Frage lag also auf der Hand, ob es bei dem verwendeten Belag eine gleichlautende ungeschriebene Anforderung gibt.

Der Streit darum, was im Einzelnen geschuldet ist, wird auf absehbare Zeit nicht enden, weil sich die Bautechnik ständig weiterentwickelt. Umso wichtiger ist es für alle am Bau Beteiligten, solche Punkte rechtzeitig anzusprechen und gegebenenfalls im Vertrag genau zu definieren, welcher Standard gebaut werden soll. Dies, so die Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht Helena Jakobs, ist eine Aufgabe für Planer, die ihrerseits die Fülle an Regelwerken und die Möglichkeit einer ungeschriebenen Regel im Auge behalten sollten.

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